In Deutschland leben schätzungsweise 2,65 Millionen Kinder und Jugendliche mit alkoholkranken Eltern zusammen. Die Konsequenzen sind dramatisch.
Oft konnte Julian nachts seine Eltern streiten hören. Der Vater hatte wieder zu viel getrunken. Wenn er trank, wurde er schnell aufbrausend und unberechenbar. Vater und Mutter stritten sich laut, bis der Vater wütend die Wohnung verließ. Julian war dann erleichtert, gleichzeitig machte er sich Sorgen um seinen Vater. Dieses Wechselbad der Gefühle, die Unberechenbarkeit seines Vaters und die Ohnmacht seiner Mutter beschäftigen ihn manchmal heute noch.
Denn auch wenn er jetzt erwachsen ist, die Erlebnisse von damals wirken nach. Julian ist mittlerweile in therapeutischer Behandlung. Durch die Gespräche findet er nach und nach den Mut, sein Leben nach seinen eigenen Vorstellung und Bedürfnissen zu gestalten – ohne die Launen seines Vaters zu fürchten.
Julians Geschichte ist nur eine von unzähligen in Deutschland. Alkoholsucht innerhalb von Familien ist nicht nur eine starke Belastung für alle Angehörigen und den Betroffenen selbst – sie ist eine Gefährdung. Vor allem für Kinder und Jugendliche von alkoholabhängigen Eltern. Laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts von 2016 leben bis zu 6,6 Millionen Kinder und Jugendliche in Familien, in denen mindestens ein Elternteil Alkohol in riskanten Mengen konsumiert, bei schätzungsweise 2,65 Millionen Kindern ist ein Elternteil alkoholkrank.
Die Konsequenzen für diese Kinder und Jugendlichen sind dramatisch: Sie haben ein 2,4- bis 6-fach höheres Risiko, selbst suchtkrank zu werden oder eine psychische Krankheit zu entwickeln. Etwa ein Drittel dieser Kinder wird im Erwachsenenalter alkohol-, drogen- oder medikamentenabhängig. Ein Drittel entwickelt psychische oder soziale Störungen. Und nur ein Drittel bleibt ohne eigene Suchtproblematik.
Was diese Kinder brauchen, ist Unterstützung. Hilfe von außen, die innerhalb der Familie oft nicht möglich ist. Ob Lehrer, Erzieher, Sozialpädagogen oder Psychologen – wer mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, kann diese Unterstützung leisten. Genaues Hinsehen, vorsichtiges Nachfragen, Zuhören – all das kann helfen, Probleme von Kindern und Jugendlichen frühzeitig zu entdecken. Hätte Julian damals nicht seine Lehrerin gehabt, die bemerkte, dass etwas mit ihm nicht stimmte und ihn daraufhin ansprach, wäre er vielleicht selber alkoholkrank geworden. Mit ihrer Hilfe konnte er das erste Mal darüber sprechen, was zu Hause wirklich vor sich ging und wie schwierig die Situation für ihn war.
Doch häufig ist es nicht leicht, überhaupt zu erkennen, ob ein Kind oder Jugendlicher in einer alkoholbelasteten Familie lebt. Manchmal ist es den Kindern zunächst selbst gar nicht bewusst. So wie bei Julian. Zu seiner Familie gehörte Alkohol einfach immer dazu. Es war normal. Auch wenn es laut wurde. Julian zog sich dann zurück – und glaubte, er sei an allem schuld.
Doch was ist zu tun, wenn der Verdacht da ist? Wenn ein Kind oder Jugendlicher offenbar Probleme hat? Nehmen Sie Ihre Bedenken ernst, gehen Sie auf das Kind oder den Jugendlichen zu, suchen Sie das Gespräch mit den Eltern. Meiden Sie dabei jedoch immer ein vorschnelles, unüberlegtes Handeln. Alkoholprobleme in der Familie sind ein hochsensibles Thema, sowohl für die Betroffenen als auch die Angehörigen. Suchen Sie sich deshalb kompetente Unterstützung von Fachpersonen, die Ihnen zur Seite stehen.
Sie arbeiten oder engagieren sich ehrenamtlich in einer sozialen Einrichtung, in Schulen oder Jugendzentren und vermuten, dass es einem Kind oder Jugendlichen nicht gut geht? So können Sie Kindern aus alkoholbelasteten Familien helfen.