Auch Angehörige von Alkoholkranken brauchen Unterstützung. Wie können sie sich Hilfe zur Selbsthilfe holen und welche Vorteile hat der Austausch in Gruppen?
"Und wer hilft mir?", fragen sich Menschen, die mit einem alkoholkranken Partner zusammenleben, sich um einen abhängigen Elternteil kümmern oder mit der Alkoholsucht einer anderen nahestehenden Person konfrontiert werden. Eine Antwort darauf können Selbsthilfegruppen sein. Welche Themen Angehörige besonders beschäftigen und wie der Austausch mit anderen, die ähnliches erlebt haben, hilft, erzählt Diplom-Psychologin und Therapeutin Barbara Becker. Seit 17 Jahren leitet sie eine offene, angeleitete Gesprächsgruppe für Angehörige in Berlin.
Frau Becker, was ist das Besondere an einer Selbsthilfegruppe? Was kann ich als Angehöriger oder Angehörige mit den Menschen in einer Selbsthilfegruppe besprechen, das ich mit Freunden oder anderen Familienmitgliedern nicht besprechen kann?
Das Besondere an einer Selbsthilfegruppe ist ihre eigene positive Dynamik: Die Teilnehmenden können vor der Gruppe alles offen ansprechen und sich so erst einmal entlasten. Sie kommen mit anderen ins Gespräch und profitieren von ihren Erfahrungen, geben sich gegenseitig Ratschläge. Eigene Erfahrungen und Wege können geteilt werden. Nichtbetroffene Freunde hören zwar auch zu, sind aber oft hilflos und sagen, dass es schon von alleine wieder gut wird. In den Selbsthilfegruppen geht es dagegen auch darum, darauf aufmerksam zu machen, dass die Angehörigen an sich selbst denken müssen.
Häufig spricht man davon, dass Angehörige von alkoholkranken Menschen co-abhängig sind. Was bedeutet das? Und werden Angehörige zwangsläufig co-abhängig?
Wir alle haben die Anlage zum Helfen in uns, das läuft unbewusst ab, wird dann in der Regel in unserer Erziehung gefestigt. Vor allem bei Frauen entsteht daraus eine Co-Abhängigkeit: Wenn sie auf einen Süchtigen treffen oder sich bei einer nahestehenden Person eine Sucht entwickelt, dann versuchen sie zu helfen. Das geht soweit, dass sie Ausreden erfinden, den Arbeitgeber anrufen, wenn der Abhängige nicht zur Arbeit kommt, oder sogar Alkohol für ihn kaufen. Die Teilnehmer der Selbsthilfegruppe müssen lernen, aus dieser Co-Abhängigkeit herauszukommen. Das bedeutet nicht, dass sie egoistisch sind, sondern dass klar sein muss, wo der Abhängige selbst Verantwortung für sein eigenes Leben übernehmen muss. In Partnerschaften ist das schwierig, weil die Angehörigen ihren Partner nicht enttäuschen wollen und sich oft schuldig fühlen. In Eltern-Kind-Beziehungen sind oft die Rollen umgekehrt. Besonders wenn die Kinder selbst erwachsen sind, meinen sie, die Verantwortung für ihre eigenen Eltern übernehmen zu müssen.
Was können Wege sein, für sich selbst zu sorgen und sich aus einer Co-Abhängigkeit zu lösen? Wie kann die Gruppe dabei helfen?
Der wichtigste Lernschritt ist es, sich zu distanzieren, nicht alles dem Partner oder dem Elternteil aus dem Weg zu räumen, keine Ausreden für sie zu erfinden. Daneben sollten sich Angehörige keine Vorwürfe machen, aber auch keine leeren Drohungen aussprechen. Generell sollten sie an sich selbst denken, Klarheit schaffen, sich nicht in Lügen verlieren, und an der eigenen Persönlichkeit arbeiten. Dabei kann die Gruppe helfen: Aus den Erfahrungen anderer lernen die Angehörigen. Manche sind schon länger da, wissen, wie sich die anderen fühlen und können so Wege aufzeigen, etwas zu ändern. Manchmal gebe ich eine freiwillige Hausaufgabe auf: Tu drei Dinge nur für dich! Beschäftige dich mit dir selbst und entwickle einen gesunden Egoismus.
Vor welchen Sorgen und Problemen stehen Angehörige von alkoholkranken Menschen häufig? Welche Themen kommen immer wieder zur Sprache?
Es sind immer wieder dieselben Themen: Scham und Schuldgefühle, Abhängigkeit, Hilfslosigkeit und Vertrauensbruch. Viele verfallen in eine Art Kontrollfunktion. Das Ziel ist, solche Ängste zu minimieren.
Wie laufen die Sitzungen ab? Gibt es bestimmte Regeln?
In unserer Gruppe gibt es kein feststehendes Konzept, wir arbeiten aber mit Ritualen am Anfang und Ende jedes Treffens und fragen nach der Befindlichkeit jedes Anwesenden. Alle Themen werden gemeinsam von der Gruppe besprochen, die Teilnehmer können zunächst frei erzählen und sich entlasten. Allmählich gehen wir dann zu individuelleren Themen über.
Was ist Ihre Aufgabe bei der Betreuung einer Selbsthilfegruppe? Wie stark lenken Sie die Gespräche oder geben Ratschläge?
Ich nehme die Beobachterrolle ein, bin therapeutische Moderatorin und höre viel zu. Zu meinen Aufgaben gehört auch, zu erkennen, wann Themen in Einzelgesprächen vertieft werden sollten.
Wie finden Angehörige eine geeignete Selbsthilfegruppe?
Man sollte seinen Arzt ansprechen oder kann auch online nach Gruppen suchen. Wir erleben aber auch, dass Angehörige unsere Sprechzeiten im Schaufenster sehen und direkt vorbeischauen.
Wenn Sie sich Sorgen um den Alkoholkonsum eines Angehörigen oder Freundes machen, können Sie sich an das Infotelefon zur Suchtvorbeugung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) wenden. Unter 0221/89 20 31 erreichen Sie dort in der Zeit von Montag bis Donnerstag von 10 bis 22 Uhr und Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr erfahrene Beraterinnen und Berater. Oder Sie wenden sich an eine Suchtberatungsstelle in Ihrer Nähe.