Verboten ist das Trinken bei der Arbeit nicht – aber gefährlich. Trotzdem trinken viele Berufstätige. Warum?
Wer viel arbeitet, trinkt oft auch viel. Dass Stress im Job tatsächlich zu vermehrtem Alkoholkonsum führt, zeigt nun eine Studie des Finnischen Instituts für Arbeitsmedizin in Helsinki. Das Team um Professorin Marianna Virtanen hat dafür mehr als 330.000 Menschen aus 14 Ländern befragt. Das Ergebnis: Wer mehr als 48 Stunden pro Woche arbeitet, hat ein elf Prozent höheres Risiko für riskanten Alkoholkonsum als jemand, der 35 bis 40 Stunden arbeitet. Das gilt für Männer genauso wie für Frauen.
Die Erkenntnis ist nicht neu: Wissenschaftler beobachten schon länger einen Zusammenhang zwischen Arbeitsplatzbedingungen und riskanten Verhaltensweisen wie erhöhtem Alkoholkonsum. Problematisch wird es immer dann, wenn der Einsatz, den jemand im Beruf bringt, und die Anerkennung, die er dafür bekommt, nicht zusammenpassen. Von einer Gratifikationskrise sprechen die Experten in diesem Fall. Jeder Mensch entwickelt eigene Strategien, mit so einer Krise umzugehen. Bei manch einem ist das der Griff zum Alkohol.
Die Auswirkungen von Alkoholeinfluss bei der Arbeit sind gravierend. Bei 20 bis 25 Prozent aller Arbeitsunfälle ist Alkohol im Spiel: Die Beteiligten hatten entweder während oder kurz vor der Arbeitszeit Alkohol getrunken oder waren verkatert. Rund 1 Milliarde Euro Schaden entsteht dadurch jedes Jahr in Deutschland. Doch auch wenn der Alkoholkonsum keinen Unfall zur Folge hat, leidet die Arbeit darunter: Qualität und Effizienz sinken. Wirtschaftswissenschaftler haben errechnet, dass Alkohol jährlich Produktivitätsverluste in Höhe von mehr als 16 Milliarden Euro verursacht.
Nun ist Alkohol am Arbeitsplatz nicht generell gesetzlich verboten. Regeln gibt es trotzdem. Ein Arbeitgeber muss zum Beispiel für die Sicherheit seiner Mitarbeiter sorgen. Dazu gehört auch, dass niemand Maschinen bedient, der unter Alkoholeinfluss steht und so sich und andere in Gefahr bringen könnte. Ein Unternehmen kann deshalb Alkoholkonsum während der Arbeitszeit verbieten. Viele Unternehmen in Deutschland bieten inzwischen auch Unterstützung bei Suchtproblemen oder Programme zur Suchtprävention an – etwa mit Beratung und Aufklärung, der Schulung von Führungskräften oder Aktionstagen zum Thema.
Gleichzeitig fühlen sich viele Arbeitnehmer, die nicht trinken, stigmatisiert. Das geht aus einer Studie von Forschern der amerikanischen North Carolina State University aus dem Jahr 2014 hervor. Teilnehmer waren Berufstätige, die keinen Alkohol trinken – auch nicht auf Firmenfeiern oder Betriebsausflügen. Offen geht damit kaum jemand um: Viele Studienteilnehmer sagten, sie lehnten Alkohol häufig mit ausweichenden Antworten wie "Ich muss morgen früh raus" ab, um keine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Sie wollten nicht als Spielverderber dastehen.
Etikette-Trainerin Imme Vogelsang hält solche Ängste jedoch für unberechtigt, zumindest in Deutschland. Gehörte das Glas Wein oder Bier früher wie selbstverständlich zum Geschäftsessen, ist es längst kein Muss mehr. Arbeitnehmer können solche Angebote jederzeit ablehnen, sagt Vogelsang: "Es ist heute gesellschaftlich akzeptiert, keinen Alkohol zu trinken."
Das ganze Interview mit der Hamburger Etikette-Trainerin Imme Vogelsang lesen Sie hier.